Warum die meisten Dolchstücke von einem kurz gegriffenem Dolch ausgehen

Oft wird erzählt das es daran liegt das der Dolch rechts am Gürtel getragen wurde. Woraus sich die kurze Griffhaltung ergibt, wenn man den Dolch mit der rechten Hand zieht.
Dieser Umstand soll dann dazu geführt haben das man vor allem von Situationen ausging, in denen der Angreifer mit einem kurz gehaltenem Dolch angriff.
Sieht man sich aber historische Abbildungen an, auf denen die dargestellten Personen einen Dolch tragen, erkennt man schnell das es daran nicht liegen kann. Denn der Dolch wurde mit Nichten stets rechts getragen, sondern an allen erdenklichen Stellen am Gürtel. Wenn auch fast nie links.

Die Antwort liegt denke ich eher an der in den Dolchstücken meist verwendeten Waffe. Dem Scheibendolch. Denn der Scheibendolch möchte gerne kurz gegriffen werden. Er lässt sich auch lang greifen, aber lieber ist es ihm wenn man ihn kurz greift.
Die Entscheidung wie wir einen Dolch ergreifen, beruht entweder auf dem was wir mit der Waffe gerade zu tun gedenken und an ihren Eigenschaften.
Will ich einen Ober- oder Unterstich führen, halte ich die Waffe kurz gegriffen. Möchte ich einen Mittelstich führen, ergreife ich die Waffe lang. Ober im Fall das ich einen Schild ausführen möchte, mit beiden Händen.

Bei den Eigenschaften der Waffe ist natürlich die Art der Klinge durchaus eine Überlegung wert. Verfügt die Waffe über eine Schneide gibt es durchaus Gründe dafür die Waffe lieber lang als kurz zu ergreifen. Hat man bei einem lange gehaltenem Dolch doch einen Reichweitenvorteil gegenüber einem kurz gehaltenem.

Dennoch entschieden sich die Fechtmeister bei Verwendung eines Scheibendolch oder Scheibendolchmessers, meist für die kurze Griffweise.
Denn den größten Einfluss darauf wie ein Dolch am liebsten ergriffen werden möchte, ist die Ausformung seines Griffstücks.
Ich habe zwei Dolchrepliken. Einen dreikantigen Scheibendolch und einen einschneidigen Hodendolch.
Der Scheibendolch war zuerst bei mir. Als ich ihn bekam habe ich ihn natürlich gleich ausgepackt und damit rumgespielt. Instinktiv habe ich ihn dabei zum größten Teil kurz gefasst. Mir dabei jedoch erst mal nichts gedacht. Denn in den Fechtbüchern wir er ja auch meist kurz gefasst.
Später habe ich mir dann das Hodendolchmesser zugelegt. Natürlich habe ich mit dem Hodendolchmesser auch gleich nach dem Auspacken rumgespielt. Und wie durch das Training konditioniert, habe ich ihn auch gleich kurz gefasst ….. Was sich aber irgendwie nicht so gut angefühlt hat. Also habe ich ihn lang gefasst, und mich damit viel wohler gefühlt.

Der Scheibendolch und auch das Scheibendolchmesser lassen der Hand zwischen den beiden Scheiben nicht allzu viel Raum. So das die Hand zwischen den beiden Scheiben nicht viel Platz hat um sich zu bewegen. Was bei einem kurz gehaltenem Dolch in der Ausführung eines Ober- oder Unterstich nicht unangenehm oder hinderlich ist. Im Gegenteil. Die untere Scheibe verleiht der Hand bei der Ausführung kräftiger Stiche einen sicheren Halt.
Anders sieht es aus wenn man den Dolch lang gefasst hat. Für einen Mittelstich erfordert im Handgelenk mehr Bewegung als im Oberstich. Den für die Bewegung nötigen Platz lassen uns die beiden Scheiben aber nur sehr bedingt, wobei sich vor allem die hintere Scheibe als störend erweist. Sie hebelt uns den Dolchgriff bei einer gerade Stichführung etwas aus der Hand. So das wir im Stich entweder auf einen festen Griff verzichten, oder die Stiche bogenförmig führen müssen. Entscheidet man sich für die Bogenförmige Stichführung, verzichtet man dafür auf die Schnelligkeit und Unberechenbarkeit der geraden Mittelstiche.

In den Schriften Hans Talhoffers kann man sehen wie er die mangelnde Bewegungsfreiheit kompensiert hat. Er hat im Mittelstich den Daumen auf den Rand der unteren Scheibe, bzw. den Daumen über die Scheibe auf die Klinge gelegt. So gewinnt man etwas mehr Platz und kann das Handgelenk besser strecken, ohne den Griff um den Dolch zu sehr lockern zu müssen. Interessanterweise hat die Replik meines Scheibendolches an der unteren Scheibe eine Stelle an der ein verlängertes Stück der Scheibe Richtung Klinge umgebogen und nach der Biegung parallel zur Klinge verläuft. Bevor es zungenartig ausläuft.
Als ich den Schmied fragte ob er wisse wozu diese abgeflachte Stelle diene, konnte er auch nur Vermutungen aussprechen. Er vermute das es der Steigerung des Tragekomforts diene.
Das könnte durchaus sein, denn die abgeflachte Stelle liegt auf jeden Fall angenehmer am Körper an als die Kante einer Scheibe.
Es könnte aber auch gut sein das die Zunge dazu diente den Daumen darauf zu legen. Von der Form und der Größe her fühlt sie sich ideal dafür an.

Zusammenfassend finde ich persönlich das sich der Scheibendolch besser fechten lässt wenn man ihn kurz fasst.

Den Hodendolch kann man natürlich ebenso wie den Scheibendolch kurz gegriffen führen. Wie man es auch auf den Abbildungen einzelner Fechthandschriften dargestellt findet. Wobei es sich meiner Ansicht nach bei den dargestellten Hodendolchen ausschließlich um Hodendolchmesser handelt.
Aber irgendwie fühlt sich ein kurz gegriffener Hodendolch nicht ganz so gut an wie ein kurz gegriffener Scheibendolch. Den Hodendolch lang zu greifen fühlt sich für mich einfach besser an. Da die Hand am Griff des Hodendolchs nicht durch die Scheiben beengt wird wenn man ihn lang greift, kann das Handgelenk mit dem Hodendolch seinen vollen Bewegungsspielraum ausnutzen.
Was es ermöglicht den Gegenüber mit direkt geführten Mittelstichen zu attackieren.
Auch die Schneide des Hodendolchmessers ist für mich ein Argument die Waffe lang zu führen. Zwar kann man auch mit einem kurz gegriffenem Dolchmesser Schnitte ausführen, aber im Vergleich zu einem lang gegriffenem Dolchmesser, hat man mit einem kurz gegriffenen Dolchmesser eine wesentlich geringere Reichweite. Auf engem Raum dagegen mag eben das von Vorteil sein.

Aus diesen Überlegungen heraus würde ich sagen: Die Dolchstücke der Fechthandschriften behandeln vor allem deshalb zum überwiegenden Teil Situationen mit einem kurz gehaltenem Dolch, weil in ihnen ein Scheibendolch verwendet wird.
Und, darüber ob wir einen Dolch kurz oder lang ergreifen, hängt vor allem von der Gestaltung seines Gehiltzes ab.

Auch Achilles Marozzo untermauert das die Gestaltung des Griffs den Ausschlag für die Griffweise gibt. Und zwar durch Verzicht der kurzen Griffs. Er greift seinen Dolch überwiegend lang … weil er keinen Scheibendolch verwendet.

Mann könnte einwerfen das eine kurze Griffweise auch fechterische Vorteile bringt. Das stimmt, so lässt sich z.B. mit einem kurz gegriffenen Dolch besser aus der eigenen Aktion heraus auf eine unerwartete gegnerische Aktion reagieren. Indem man dem Gegenangriff z.B mit der eigenen Waffe versetzt. Mit einem lang gegriffenen Dolch ist das wesentlich schwieriger.
Dafür sind Stiche mit einem kurz gehaltenem Dolch in ihrer Stichbahn recht vorhersehbar. Und durch ihren leichten Bogen, den aufgrund der störenden Scheibe beschreiben, relativ „langsam“.
Ein Mittelstich dagegen ist durch seinen direkten Weg wesentlich schneller. Zwar ist seine Bahn auch relativ klar, aber die Höhe des Stichs lässt sich sehr schwer einschätzen. Da sich der Ausführende erst ziemlich spät entscheiden muss ob er den Stich hoch oder tief treffen lässt.
Die Überlegung welche Griffweise welche Vorteile mit sich bringt könnte man noch fortsetzen. Ich denke jedoch nicht das die Vorteile der kurzen Griffweise derart überwiegen, das sie deren Dominaz in den Dolchstücken erklären.